SPD Sulzbachtal

Ortsverein der Gemeinden Sulzburg u. Ballrechten-Dottingen

Interview zum Tag der Arbeit

Veröffentlicht am 01.05.2021 in Bundespolitik

Der 1. Mai, Tag der Arbeit, wird wie im letzten Jahr analogisch ausfallen-also keine kraftvollen Märsche der Gewerkschaften auf Straßen und Plätzen, keine großen Demonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen und gerechtere Löhne.

Wir möchten dennoch an einem Beispiel aus der Arbeitswelt einige Hintergründe der realen Arbeitsbedingungen beleuchten. Was bietet sich seit dem Frühjahr 2020 besser an als die Tätigkeit einer examinierten Krankenschwester, heute Krankenpflegerin genannt. Wir konnten eine Pflegerin mit einer jahrzehntenlangen Berufserfahrung zu einem Gespräch über ihre Arbeit gewinnen.

Zunächst vielen Dank für Ihre Bereitschaft, uns heute am „Tag der Arbeit“ über    ihre Tätigkeit als Krankenschwester als Gesprächspartnerin zu Verfügung zu stehen. Meine erste Frage: was sagt Ihnen persönlich der Begriff “1. Mai-Tag der Arbeit“?

Ich verbinde mit dem 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, zwei Inhalte: Erstens, das Recht zu demonstrieren, zu demonstrieren für bessere Arbeitsverhältnisse und einen fairen Lohn oder Gehalt für die Arbeit der abhängig Beschäftigten. Zweitens verbinde ich mit dem „Tag der Arbeit“ die Erfolge, die vor allem die Gewerkschaften erreicht haben, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der Kündigungsschutz, Urlaubsgeld usw.. Dies war möglich durch das Engagement der Arbeitnehmer v.a. in den Gewerkschaften und in den Betriebsräten bzw. Personalräten. Leider ist dieses Engagement vor allem bei den jüngeren abhängig Arbeitenden nicht mehr in dem Umfang vorhanden wie noch vor 30 Jahren. Sie sehen diese Errungenschaften als selbstverständlich an und wollen sich nicht mehr solidarisch einsetzen, sind nicht interessiert an einer Mitgliedschaft in den Gewerkschaften. Wenn zum Streik aufgerufen wird, machen nur wenige mit und die Streiks finden in der Mittagspause statt. Wobei ich betonen möchte, die Streiks gehen nicht auf Kosten der Pflege der Patienten, es gibt auch noch andere Möglichkeiten, den Betriebsablauf einer Klinik oder eines Krankenhauses so zu stören, so dass die Leitung nachgeben muss. Aber gerade die jüngeren Kolleginnen bzw. Kollegen nehmen die Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen gerne an, obwohl andere darum gekämpft haben.

Ich gebrauchte eben den Begriff „Tätigkeit als Krankenschwester“, ist dieser Begriff vielleicht zu kurz gefasst, ist ihre Arbeit nicht mehr eine „Berufung“? Dieses Wort steckt ja in dem Begriff „Beruf“. Fühlten Sie sich berufen, Krankenschwester zu werden?

Zunächst einmal, der Begriff Krankenschwester wird  heute nicht mehr offiziell für meine Tätigkeit benutzt. Bezüglich des Begriffs Berufung Folgendes: für mich war und ist es keine Berufung, kranke Menschen in einem Krankenhaus zu pflegen, wie Florence Nightingale im 19. Jahrhundert es für einen“ Gottes Lohn“ tat. Für meine Arbeit erwartete und erwachte immer noch einen fairen Lohn und keine Almosen. Für mich steht im Mittelpunkt die zwischenmenschliche Beziehung, eine Empathie mit den Patienten, die ja leiden weil sie krank sind. Eine Schreibtischarbeit ohne Kontakt zu Menschen kam und kommt für mich nicht infrage. Deshalb habe ich „Krankenschwester gelernt“, wie man früher sagte.

Welche Erwartungen hatten Sie an der Arbeit einer Krankenschwester?

Ich erwartete eine kollegiale Arbeit auf Augenhöhe, auch mit dem ärztlichen Personal. Und ich hoffte, genug Zeit für meine pflegerische Arbeit an den Patienten zu haben und zwar nicht nur bezüglich der hygienischen und medizinischen Arbeit sondern auch bezüglich der zwischenmenschlichen Zuwendung. Auch erwartete ich im Rahmen des medizinisch Notwendigen selbstständig Entscheidungen zu treffen.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Eigentlich nein: wir, die Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen, werden nicht gleichwertig von allen Ärzten behandelt, viele Ärzte betrachten sich immer noch als etwas Höheres, Besseres, wir sind nicht auf gleicher “ Augenhöhe: „Ich bin der Doktor, du bist nur die Krankenschwester“. Aber wir selbst sind schuld an diesem Zustand, denn mit über 80 Pflegeverbänden bilden wir kein einheitliches Gremium. Anders als die Ärzte, die verpflichtet sind, Mitglied der Ärztekammer, d. h. des Marburger Bundes, zu sein, gibt es kein entsprechendes verpflichtendes Gremium für das Pflegepersonal. Wir haben keine wirkliche Lobby. Wie ich eben sagte, es gibt keine organisierte Bewegung, um zum Beispiel Streiks durchzuführen. Zwar sind einige des Pflegepersonals in der Gewerkschaft  Verdi organisiert, aber leider zu wenige.

Was hat sich verändert im Laufe Ihrer jahrelangen Berufstätigkeit?

An erster Stelle ist die Arbeitsverdichtung zu nennen: wir müssen in derselben Zeit wie früher mehr Patienten versorgen. Es ist die kürzere Liegezeit der Patienten bei gleicher Dienstleistung. Waren es früher etwa fünf Tage bis Operation sollen es heute nur noch zwei Tage sein. Dies ist die Folge der sogenannten Fallpauschale. Schon im Jahre 2011 wollte der Gesetzgeber diese abschaffen, aber bis jetzt ist nichts dergleichen geschehen. Auch hat sich der Charakter der Pflege verändert: gab es früher die sogenannte Funktionspflege, z. B. die Blutabnahme bei verschiedenen Patienten, gibt es heute die sogenannte Bereichspflege, d.h. unsere Arbeit ist nicht allein auf nur eine Tätigkeit am Patienten konzentriert sondern wir sind verantwortlich für alles, was die Patienten angeht, und das bei einem höheren “ Patientenumlauf“.

Die Medien aber auch Gesundheitsexperten sprechen von der „Kommerzialisierung des deutschen Gesundheitswesen“, stimmen Sie dieser Ansicht zu und, wenn, wie weit haben Sie diese Entwicklung erfahren?

Wie ich eben beschrieb, es sollen mehr Patienten in kürzerer Liegezeit behandelt werden. Und dies bei gleicher Personaldecke. Es geht in der Tat fast ausschließlich um die Wirtschaftlichkeit eines Krankenhauses. Kliniken sind gezwungen wie jede andere Firma Gewinne zu machen. Bei einigen Häusern geht es sogar um die Steigerung der Rendite, ein unhaltbarer Zustand. Ich bin der Meinung, Krankenhäuser sind nicht zu betrachten wie Firmen, die Autos herstellen oder Dienstleistungsfirmen, die Versicherungen verkaufen. Leidtragende dieser Kommerzialisierung des Gesundheitswesens sind sowohl das Personal als auch die Patienten. Aber ich hab immer noch die Hoffnung, dass die Politiker diese fast 30-jährige Entwicklung wieder rückgängig machen. Und ich setze meine Hoffnung auf die mehr sozial- politisch eingestellten Parteien dieses Landes.

Die Covid Pandemie bedeutet ja eine besondere Herausforderung an das Gesundheitssystem, und das schon seit mehr als einem Jahr-wie wirkt sich diese weltweite Krankheit auf Ihre Arbeit aus?

Während der ersten Phase im Frühjahr 2020 waren wir alle sehr verunsichert: mussten oder sollten wir eine Maske tragen, sollten die Patienten Masken tragen, es war ein dauerndes Hin und Her, Desinfektionsmittel fehlten, sie wurden rationalisiert, es gab keine Tests vor der Aufnahme der Patienten, wenigstens in meinem Krankenhaus. Auch wir, das Pflegepersonal, musste sich einschränken: nur zu dritt durften wir gemeinsam essen, der Schichtwechsel gestaltete sich kompliziert, es durften nicht mehr als sechs Personen in einem Raum sein und wenn es im Hals kratzte, war das gleich ein Zeichen der Infektion? Einen normalen Schnupfen gab es gar nicht mehr, eigentlich hatten alle Angst.  Mittlerweile, da ja viele geimpft sind und ausreichendes Material vorhanden ist, geht es schon besser.

Sind Sie der Meinung, dass Sie genügend Unterstützung in dieser Situation erhalten haben? Im letzten Jahr wurde den in der Pflege tätigen applaudiert, später empfanden dies viele der Gelobten nicht ausreichend, insbesondere finanziell sei wenig oder gar nichts geschehen.

Nein, in meinen Augen hat es nicht genug Unterstützung gegeben. Wir haben bis jetzt nicht genügend Wertschätzung erfahren. Es war ja ganz nett zu applaudieren, der Arbeitsdruck war wirklich enorm  und die sogenannte Coronaprämie war in meinen Augen ein Almosen. Auch sozial erfuhr ich einige Unannehmlichkeiten, so wurde mir schon von Bekannten geraten, im Krankenhaus zu übernachten-  aus Angst vor einer Ansteckung.

Es war bei weitem nicht so, wie es hätte sein können und müssen. Zum anderen ist hoffentlich wohl jedem klar geworden, dass Pflege viel Geld kostet. Es zeigt sich heute, es reicht nicht hinten und vorne in einer solchen außergewöhnlichen Situation. Es geht ja nicht alleine um materielle Dinge wie zum Beispiel die Beschaffung von Intensivbetten, es muss auch genügend Personal da sein und das kann man nicht von heut auf morgen aus dem Boden stampfen, das dauert lange, bis das passende Personal ausgebildet ist, und all das ist den letzten Jahrzehnten nicht in dem Umfang geschehen, wie es eigentlich notwendig gewesen wäre. Diese Pandemie hat deutlich die Schwächen unseres Gesundheitswesens aufgezeigt und ich hoffe nur, dass die Politiker einsehen, dass sich da was zum Besseren ändern muss.

Was erwarten Sie von den politischen Entscheidungsträgern für Ihre Arbeit als Krankenschwester und für das deutsche Gesundheitswesen insgesamt?

Ich kann mich nur wiederholen: ich hoffe auf eine größere Wertschätzung die, die sich auch in einer besseren Bezahlung äußert. Und allgemein müssen mehr finanzielle Mittel in das deutsche Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt werden. Das war Nummer eins. Nummer zwei: ich erwarte die Rücknahme der sogenannten Fallpauschalen und alles was damit zusammenhängt, ich erwarte einen Politikwechsel in der Gesundheitspolitik: Weg von der Vorstellung Gesundheitseinrichtungen wie z.B. die Krankenhäuser sind Wirtschaftsunternehmen, die nie rote Zahlen schreiben dürfen. Das gilt übrigens für das gesamte Gesundheitswesen, denn auch die niedergelassenen Ärzte sind in diesen finanziellen Zwangsjacken, Stichwort Budgetierung. Und wenn man mir sagt, das kostet alles viel Geld und dann müssten die gesetzlich Versicherten höhere Beiträge von ihren Gehältern und Löhnen einzahlen, so sage ich, es wird höchste Zeit eine Bürgerversicherung einzurichten, in die jeder, aber auch jeder seinen Beitrag zu entrichten hat, seien es Beamte, Handwerker, Freiberufler  oder Solo Selbstständige.

Würden Sie sich heute noch einmal für Ihren Tätigkeit bzw. für Ihren Beruf entscheiden?

Ich antworte mit einem klaren jein: Ja, ich arbeite gerne mit Menschen, ich möchte kranken Menschen beistehen. Eine Arbeit am Schreibtisch war und ist mir ein Graus. Nein, meine Erwartungen an die Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Bezahlung oder auch die geringe Wertschätzung durch einige Mitglieder der Ärzteschaft, d.h. der fachliche Austausch auf Augenhöhe, also die von mir erhofften Veränderungen an den Strukturen, sind nicht eingetroffen.
FR: Knapp zwei Wochen nach dem 1. Mai gibt es den „ Tag der Pflegenden“. Er wird seit 1967 jährlich am 12. Mai begangen in Erinnerung an den Geburtstag von Florence Nightingale 1820, der Begründerin der modernen westlichen Krankenpflege und einflussreiche Reformerin des Sanitätswesens. Können Sie mit diesem Gedenktag etwas anfangen?
AN: Nein, genauso wenig wie ich mit dem Muttertag oder dem Tag der Frauen etwas anfangen kann. Ich möchte, dass wir Pflegende das ganze Jahr lang respektvoll behandelt werden, dazu braucht es keinen besonderen Gedenktag oder Erinnerungstag.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr noch alle lebendig und auch gesund sind, um den 1. Mai in gewohnter Weise zu feiern.

Das Interview führte Henry Kesper

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